Ich bin mehr als das, was ich mache

Interview: Beate Berns

Viele von uns kennen Farideh Diehl. Als Fotografin hat sie schon einige unserer Events begleitet und wir verdanken ihr die wunderschönen Bilder der WNM-Weihnachtsparty. Vor knapp zwei Jahren hat sie den Sprung ins Ungewisse gewagt und sich ohne Netz und doppelten Boden auf den Weg nach Mallorca gemacht.

Liebe Farideh, wie hast Du zum Women’s Network Mallorca gefunden?
Ich kenne Carmen aus Frankfurt, unserer gemeinsamen Heimatstadt. Sie war mit meiner Schwester befreundet und wir verkehrten in denselben Cafés, Bars und Kneipen. Durch einen gemeinsamen Bekannten trafen wir uns dann erneut auf Mallorca. Für mich ist das Netzwerken unter Frauen von großer Bedeutung. Der Austausch und die gegenseitige Unterstützung sind für mich eine bereichernde Erfahrung, besonders in dieser Phase der Neuorientierung.

Du lebst noch nicht so lange hier auf der Insel.
Im April werden es zwei Jahre. Im Frühjahr 2022 habe ich meine Verbindungen in Deutschland vollständig gelöst, meine »Besitztümer« ins Auto gepackt und bin nach Mallorca aufgebrochen. Ohne Corona wäre ich vermutlich heute nicht hier. Zwei meiner Freunde sind während der Pandemie nach Mallorca ausgewandert und ich habe in den vergangenen Corona-Wintern einige Zeit auf der Insel verbracht. Veränderungen in meinem Privat- und Berufsleben führten dazu, dass ich mich entschieden habe, meinen Lebensmittelpunkt hierher zu verlegen.

Das ist ein radikaler Schritt
Ja. Ein rational denkender Mensch würde vielleicht sagen, die Frau ist schlichtweg verrückt. Doch für mich war es an der Zeit, ein anderes Leben zu führen, selbst wenn das bedeutet, mich ins Ungewisse zu begeben. Vieles ist mir unbekannt. Ich habe keine klare Vorstellung, kein ausgearbeitetes Konzept, aber ich besitze ein grundlegendes Vertrauen und spüre, dass das Leben hier eine stimmigere Richtung einschlägt im Vergleich zu meinem »alten« Leben. Die Corona-Pandemie hat vieles verändert und auch ich habe mich verändert – eine neue Lebenssituation ist entstanden. Die Frage, die sich mir stellt, ist: Wie kann ich meine Leidenschaft, die Fotografie, mit der neuen Zeit und meinem veränderten Selbstverständnis in Einklang bringen und dabei authentisch bleiben? Vor allem möchte ich mich in meinem Dasein wohlfühlen. Das ist das Wesentlichste. Aufgrund meiner inneren wie äußeren Veränderungen schien mir die Realisierung dieses Wandels in Frankfurt nicht umsetzbar.

Wie sah denn Dein »altes« Leben  in Frankfurt aus?
Ich betrieb zwanzig Jahre lang ein großes Studio in Frankfurt, in einer alten Druckerei – mit Betonboden, Backsteinwänden, einer gewissen Coolness. Ich habe im weitesten Sinne People-Fotografie gemacht, also Aufnahmen von Privatpersonen, Schauspielern, Models sowie Imagebilder für Geschäftskunden. Parallel dazu führte ich meine Casting-Agentur. Anfangs war es nicht meine Absicht, in diese Richtung zu gehen, aber ich habe nie gesagt: »So, das mache ich jetzt«. Auch zur Fotografie bin ich nach dem Motto »Ich mache das gerne, also probiere das jetzt mal aus« gekommen. Die positiven Rückmeldungen haben mich bestärkt. Ich absolvierte verschiedene Praktika und eine Ausbildung am Lette-Verein in Berlin. Fotokollegen baten mich schließlich, für sie »coole Charaktertypen« für Werbeaufnahmen zu casten, da ich viel unterwegs war, gut mit Menschen umgehen konnte und ein Auge für Charaktere habe. Dies entwickelte sich immer weiter und schließlich musste ich ein Büro mieten, ein Gewerbe anmelden und eine Arbeitsvermittlungsgenehmigung beantragen. Bevor ich es ganz realisierte, war ich Inhaberin einer Casting-Agentur. Zunächst dachte ich, ich würde diese neben der Fotografie betreiben, aber das Casting-Geschäft hat irgendwann die Oberhand gewonnen.

Nach der Geburt meines Sohnes legte ich eine Pause ein und begann wieder verstärkt zu fotografieren. Anfangs machte ich Fotos von Schwangeren, da ich selbst schwanger war und die damals vorrangige Bildsprache, den Bauch zu inszenieren, als kreativ eingeschränkt empfand. Ich wollte die Frauen in ihrer Individualität und ihrer Schönheit darstellen und nicht nur den Zustand, in dem sie sich befanden. Nach der Geburt meines Sohnes kamen die Frauen mit ihren Kindern, dann mit ihren Partnern, Ehemännern … Ich habe auch Mode- und Werbe-Shootings gemacht, habe jedoch in diesem Bereich nie wirklich Akquise betrieben, da das »Pitchen« um Aufträge, das sich Anpreisen müssen, welches in der Werbebranche gefordert ist, mir widerstrebte, obwohl in der Werbung das große Geld lockte.

Gab es einen konkreten Auslöser für Dein Umdenken?
Persönliche, private Beweggründe haben mich viele Dinge infrage stellen lassen. Ich begann, mich mit meinen Fragen zu meinem Selbstverständnis auseinanderzusetzen. Ich wollte mir selbst näherkommen, ohne den Bezug zur Außenwelt zu verlieren. Als Fotografin wollte ich meinen Lebensunterhalt verdienen, ohne mich verbiegen und nur noch den Rollenerwartungen entsprechen zu müssen. Ich wollte mich nicht ständig präsentieren müssen, nicht immer nur Stärke zeigen, um als kompetent wahrgenommen zu werden. Die Last, alles alleine zu bewältigen und die Verantwortung zu tragen, war enorm. Ich war im Hamsterrad gefangen und kam nicht mehr zur Besinnung.
Wie oft kamen Menschen in mein Studio und sagten: »Ach, das ist toll.« Gerne gab ich dann zur Antwort: »Wenn du magst, kannst du meinen Mietvertrag übernehmen, wenn es dich nicht schreckt, monatlich 3000 Euro zu investieren und dich um Personal und Untermieter zu kümmern.« Es kostet eben auch viel Lebensenergie, die ich nun gerne anders investieren möchte. Meine Aufgabe ist es jetzt, herauszufinden, wohin ich meine Energie künftig lenke und was mir dabei einen sinnhaften Wert zurückgibt.
Ich möchte nicht in einer Entweder-oder-Welt leben, sondern die Welten miteinander verbinden. Wir alle sind »spirituell«, aber wir müssen auch alle unseren Lebensunterhalt verdienen, ein natürliches, einfaches und gutes Leben haben. Beides in Einklang zu bringen, das ist für mich die große Herausforderung.
In Deutschland stehst du mit solchen Überlegungen ziemlich alleine da. Zumindest wurde ich so erzogen, dass du nur etwas wert bist, wenn du viel leistest und erfolgreich bist. Hier auf Mallorca kann ich meine Sorgen und Themen wie Scham, Unsicherheiten, das Hinterfragen, das Neu-Erfinden mit anderen teilen. Dadurch fühle ich mich nicht entwertet oder herabgesetzt. Das ist für mich eine Qualität, die sich nicht in Geld messen lässt.

Du bezeichnest deine Arbeit als »mindful and professional photography«. Hat sich »mindful« aus diesen Erfahrungen entwickelt oder war es schon immer präsent?
Ich glaube, der Ansatz war schon immer da, auch wenn er keinen konkreten Namen hatte. Allerdings bin ich mit dem Begriff inzwischen nicht mehr ganz einverstanden, da er in den letzten Jahren leider oft inhaltlich missbraucht wurde. Dennoch weist der Begriff »Achtsamkeit« darauf hin, was ich in meiner Arbeit als Fotografin gerne anders gestalten würde. Natürlich ist es mein Anliegen, die Wünsche meiner Kunden zufriedenstellend zu erfüllen. Darüber hinaus möchte ich aber auch Menschen ansprechen, die das Medium Fotografie als Möglichkeit der Selbstreflexion und -akzeptanz nutzen möchten. Wenn ich mit dir arbeite, soll das einen tieferen Sinn haben.

Natürlich kann ich in einer halben Stunde ein Porträtfoto machen. Das ist meine professionelle Befähigung. Aber das erfüllt mich nicht. Tiefgehende Erfahrungen brauchen Zeit, ganz gleich, was man tut. Ein gewisses Maß an Hingabe und die Bereitschaft, sich zu zeigen – sich selbst und mir gegenüber – sind Voraussetzungen dafür. Die Erfahrung selber, die Emotionen die während des Fotografierens auftauchen, sind ein wesentlicher Teil des Verständnisses für die Aussage des Endproduktes. Das Bild ist ein Dokument für dein Selbstverständnis in diesem Moment, daher möchtest du es vielleicht in zwei Jahren erneuern. Es geht um den Prozess der Selbstwahrnehmung. Das schätze ich besonders. Das macht für mich die Freude an meiner Arbeit aus. Die zwischenmenschliche Erfahrung. Das Einlassen aufeinander und das Vertrauen – das ist es, was mich an der Fotografie reizt.

Für mich ist dies eine wechselseitige Möglichkeit der Selbstentwicklung, auch wenn ich nicht den Anspruch erhebe, therapeutisch zu wirken. Mit Profis zu arbeiten ist sicher sehr angenehm. Du arbeitest mit Profimodels, hast ein perfektes Set, Assistenten. Das ist großartig, das möchte ich nicht leugnen. Aber am Ende bleibst du genau das, was du bist:  ein professioneller Service-Dienstleister, du »dirigierst« die Szene von außen, bist nicht involviert. Das kann ich auch sein, aber heute möchte ich durch meine Arbeit mit der Fotografie eine tiefere Erfahrung machen. Wenn ich davon leben könnte, Menschen zu fotografieren, in einen tiefen Austausch zu kommen und sich gegenseitig zu bereichern, würde mir das viel Zufriedenheit bringen. Das macht für mich das Leben aus.

Das bedeutet, dass Du Dein Geld nun vor allem mit der »professional photography« verdienst?
Ja, das ist der Fall. Leider habe ich auf Mallorca nicht genügend Business-Aufträge, daher bin ich momentan noch darauf angewiesen, in Deutschland Geld zu verdienen. Das erfordert zusätzliche Organisation, da ich dort keine Basis mehr habe. Hinzu kommt, dass die Zeiten in Deutschland derzeit nicht besonders rosig sind. Viele meiner Kollegen klagen darüber, dass sie nichts zu tun haben. Natürlich bin ich froh, noch Kunden in Frankfurt zu haben, die mir über die Jahre die Treue gehalten haben. Aber das ist keine Perspektive, die ich in die Zukunft tragen möchte. Es war gut für den Übergang, aber jetzt stehe ich an einem Punkt, an dem ich darüber nachdenken muss, wie es hier weitergeht und womit ich im kommenden Frühjahr starten kann. Wie möchte und kann ich hier arbeiten?
Vielleicht kann ich eine andere Form der Business-Fotografie etablieren. Das habe ich hier bereits gemacht, sozusagen »business unusual«. Und natürlich fotografiere ich auch sehr gerne weiterhin Privatpersonen, aber das setzt voraus, dass sie bereit sind, entsprechend Zeit und Geld zu investieren. Eine weitere Idee könnte sein, Therapeuten anzusprechen, die Interesse daran hätten, ihren Kunden, Klienten, Patienten die Fotografie als zusätzliche Maßnahme, als ein weiteres »therapeutisches Tool« anzubieten. Das könnte ich mir gut vorstellen.

Jedenfalls habe ich mich nie gefragt, ob ich den falschen Schritt gemacht habe. Die Herausforderung besteht darin, mein Leben auf Mallorca wirtschaftlich zu gestalten. Inhaltlich bin ich erfüllt und froh, hier zu sein. Das kann ich mit Sicherheit sagen.