Interview: Beate Berns
Andrea von Finckh lebt seit gut zwei Jahren am Wochenende und in den Ferien auf Mallorca. Im letzten Jahr kauften sie und ihr Mann die Finca S’estelrica bei Artà. Andrea ist Mitglied der ersten Stunde des Women’s Network Mallorca und gehört zum Beraterteam, in dem sie als Juristin bei rechtlichen Themen unterstützt.
Wie kam es dazu, dass Du und Deine Familie ein zweites Zuhause in Artà gefunden habt?
Es war schon immer mein Traum, im Ausland zu leben und zu reisen. Deshalb wollte ich ursprünglich eine Ausbildung in einem Reisebüro machen. Da ich die Lehrstelle in meiner Heimatstadt Bremen nicht bekommen habe, habe ich wie viele meiner Schulfreunde einfach Jura studiert – in Berlin, allerdings mit dem Plan ins Ausland zu gehen. Deshalb habe ich mein Referendariat unter anderem in Brüssel bei der EU und im deutschen Generalkonsulat in San Francisco gemacht. Aber wie es dann im Leben so ist, kam alles anders. Mein erster Mann, den ich in meiner Auslandsstation in Las Vegas geheiratet habe, strebte eine politische Karriere in Berlin an und damit waren die Auslandspläne erst einmal ad acta gelegt.
Als das mobile Arbeiten während der Corona Pandemie zur Regel wurde, habe ich ein Stadthaus in Artà gemietet. Wir haben Mallorca in vielen Urlauben kennen- und lieben gelernt und Artà ist für mich einer der schönsten Orte auf der Insel. Ich habe mich hier auf Anhieb wohl gefühlt und schnell Anschluss am Frauenstammtisch gefunden.
Im letzten Jahr haben wir dann eine Finca inmitten von Schäfchen gekauft und ich pendele nun einmal im Monat zwischen Berlin und Mallorca. Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt, fast am Ende meiner Berufskarriere, da angekommen bin, wo ich von Anfang an immer hinwollte, meine Träume verwirklicht habe: Ich kann im Ausland leben und meinen Job von dort auch mal mobil machen. Später werden wir sicher mehr Zeit hier verbringen. Viele unserer Freunde und Bekannten haben sich bereits auf Mallorca niederzulassen. Wir haben dann eine tolle Community.
Wo hast Du Deine Berufskarriere gestartet?
Nach meinem Jurastudium in Berlin und dem Referendariat war ich zunächst Richterin in Potsdam und Frankfurt/Oder in Brandenburg. Wie gesagt aus meinen Auslandsplänen wurde nichts. Anfang der 90er Jahre, kurz nach der Wiedervereinigung, waren in den neuen Bundesländern viele freie Richterstellen zu besetzen und man konnte auch ohne Prädikatsexamen in den Staatsdienst eintreten. Da hab‘ ich gedacht, why not? Das mache ich jetzt mal. Und war dann insgesamt zehn Jahre lang Richterin an verschiedenen Gerichten im Land Brandenburg.
War es nicht schwierig, sich am Gericht als junge, unerfahrene Berufsanfängerin zu behaupten?
Auf jeden Fall. Sexistische Kommentare inklusive und Sprüche wie „Wann kommt denn der Richter?“ Aber ich habe schnell gelernt, mich durchzusetzen. Als Richterin musst Du permanent Entscheidungen treffen und das adhoc. Der ganze Saal guckt auf Dich. Du machst Dich immer unbeliebt. Du entziehst Führerscheine, verhängst Geldbußen oder Freiheitsstrafen. Den einen sind die Strafen zu hoch, den anderen nicht hoch genug. Das muss man wollen. Aber damit hatte ich zum Glück keine großen Probleme. Der Nachteil des Jobs ist, dass ich nicht besonders teamfähig bin, da man alleine Themen entscheidet und bestimmt, wo es lang geht. So auch in meinem jetzigen Job als Compliance Officerin. Aber ich mache das gerne und kann gut damit leben nicht Everybody‘s Darling zu sein.
Der Job als Richterin war sehr stressig und im falschen Bundesland. Das fing schon damit an, dass ich von Berlin nach Frankfurt/Oder pendeln musste. Das waren jeden Tag vier Stunden im Zug. Die Zeit konnte ich zwar zum Arbeiten nutzen, aber als ich dann Mutter wurde, war es mit zwei kleinen Kindern schwierig, alles unter einen Hut zu bringen. Wenn es in der Kita einen Notfall gab, musste ich erst einmal gucken, wann der nächste Zug fährt und konnte mein Kind frühestens drei Stunden später abholen. Zudem kann der Job als Richterin auch Fließbandarbeit sein, wenn man in einer Zivilkammer sitzt. Zwei Sitzungstage und an den anderen zwei Tagen Voten und Urteile schreiben – Voten, Urteile, Voten, Urteile, immer im Wechsel. Spannender sind Strafrechtsprozesse. Da ist man als Richterin eine Art Hobbypsychologin. Man muss gut zuhören, die Glaubwürdigkeit einschätzen, trickreiche Fragen stellen, um Angeklagten und Zeugen etwas zu entlocken. Das hat mir viel mehr Spaß gemacht und war schon im Studium mein Steckenpferd. Deshalb habe ich im Anschluss an den Richterjob in eine Kanzlei für Strafrecht nach Berlin gewechselt und dort meine Ausbildung zur Fachanwältin für Strafrecht gemacht. Das passte gut, da wir viele große Prozesse am Landgericht hatten, die oft über anderthalb Jahre dauerten, und ich für die Fachanwaltszulassung neben Prüfungen auch Hauptverhandlungstage vor höheren Gerichten nachweisen musste.
Das hört sich nicht nach weniger Stress an.
Stimmt, ist auch stressig, aber ich habe während dieser Zeit nur halbtags gearbeitet, da sich meine familiäre Situation verändert hat. Ich habe mich nach fast zwanzig Jahren Ehe neu verliebt – in einen Mann mit drei relativ jungen Kindern. Meine Kinder waren zu der Zeit elf und sieben Jahre alt. Ich habe mich von meinem ersten Mann getrennt und mit dem zweiten Mann eine Patchworkfamilie gestartet. Mit Job, Fachanwaltsausbildung und Familie war ich gut ausgelastet. Als die Kinder älter waren, wollte ich aber noch einmal was Neues beginnen und habe in den Großkonzern Deutschen Bahn gewechselt. Dort arbeite ich jetzt seit über zehn Jahren im Bereich Compliance. Zuerst in der Zentrale und seit 2016 bin ich die Compliance Officerin bei der DB Station & Service AG.
Von einer Kanzlei in einen Riesenkonzern mit hierarchischen Strukturen zu wechseln – war das nicht ein Kulturschock?
Schon, aber ich habe es keinen Moment bereut. Ich wollte in einen Konzern und Compliance war die Chance als Strafrechtlerin in ein Unternehmen zu gehen. Ich bin vor oder nach Verstößen tätig. Ich schule im Vorfeld und ich nehme im Nachgang Hinweise entgegen und führe interne Ermittlungen zu Vorwürfen wie Korruption, Vorteilsnahme, Betrug oder Untreue durch. Die Arbeit kann ich mir bis auf die Meetings zeitlich frei einteilen. Heute würde ich meine Berufskarriere sofort in einem Konzern starten. Für mich passt das. Es ergeben sich immer neue Möglichkeiten wie interne Jobwechsel, gute Aufstiegschancen, viele Vergünstigungen und Vorteile wie z.B. Betriebsrente.
Auf der anderen Seite sind Konzerne natürlich streng hierarchisch. Man muss sich durchbeißen und kämpfen, um weiterzukommen, viel Aufwand für die Eigen-PR betreiben. Vor allem aber braucht man ein gutes Netzwerk. 2014 habe ich mit einigen DB-Kolleginnen das Netzwerk „Frauen bei der Bahn“ initiiert, das mittlerweile viele tausend Mitglieder hat. Bei der Feier zu unserem fünfjährigen Jubiläum haben wir eine Frauenquote für Führungspositionen gefordert, die schon ein halbes Jahr später eingeführt wurde. Bis Ende 2024 müssen die Ziele erfüllt werden. Dann müssen sowohl im Konzern als auch in sämtlichen Tochtergesellschaften 30 Prozent der Führungspositionen mit Frauen besetzt sein. Das Netzwerk ist auch im Bereich Rekrutierung sehr aktiv. Momentan werden vor allem qualifizierte Frauen mit Ausbildungen in den MINT-Fächern für die technischen Bereiche gesucht. Man kann nur allen jungen Frauen raten, sich für diese Fachrichtungen zu entscheiden. Es gibt ein sehr großes Jobangebot, gute Aufstiegschancen und sehr gute Verdienstmöglichkeiten. Außerdem hat das Netzwerk ein sehr erfolgreiches Mentoring Programm etabliert. Wir haben in den fast zehn Jahren unseres Bestehens ganz schön was gestemmt. Man kann viel schaffen, wenn man sich zusammenschließt. Das inspiriert mich und deshalb baue ich das Women’s Network Mallorca mit auf.
Du hast nicht mehr lange bis zur Rente, wie man so schön sagt. Was sind Deine Pläne für die Zukunft?
Ich bin jetzt noch rund vier Jahre bei der DB AG. Gerade fusioniert meine Konzern-Tochter mit der DB Netz AG zu einer neuen Gesellschaft, aber unsere Verträge bleiben drei Jahre unangetastet. Beide Gesellschaften müssen ab 2024 zusammenwachsen, das ist neu und wird sicherlich eine Herausforderung sein. Schauen wir mal.
Nach der Tätigkeit für den Konzern könnte ich mir vorstellen, meine Anwaltszulassung zu nutzen und Compliance-Beratung in kleinerem Rahmen anzubieten. Oder ich mache vielleicht auch etwas ganz anderes hier in Artà. Mal sehen. Momentan bin ich gerade sehr zufrieden mit meinem Leben. Wenn ich daran denke, wie ich zum Studium nach Berlin kam – die Studienplätze wurden zu der Zeit zentral vergeben – : Ich war traurig und dachte, warum muss ich jetzt in die geteilte Stadt mitten in der DDR, das schwere Jura Studium schaffst Du eh nie und Du wirst keinen Job finden, da es zu viele Juristen gibt. Die Bedenken haben sich alle in Luft aufgelöst, Berlin war die richtige Entscheidung. Ich habe alles erreicht, was ich wollte, und jetzt kommt Artà noch on top dazu. Wenn ich heute umfallen würde, das mein Leben gewesen wäre – alles wunderbar. Bis dahin darf es natürlich gerne noch zwanzig Jahre dauern. Aber ich habe nichts mehr auf der bucket list. Alles, was noch kommt, ist Zugabe.