Interview: Beate Berns
Gisela Strnad blickt auf eine beeindruckende Karriere zurück, die ihr als Tochter von Bauern in Niedersachsen sicher nicht an der Wiege gesungen wurde. Seit Mitte der 80er Jahre setzt sie sich für Frauenrechte und Gleichberechtigung ein und engagiert sich jetzt als Co-Präsidentin im WNM. Wir haben über ihr Berufsleben in der männerdominierten IT-Branche, ihr politisches und kirchenpolitisches Engagement, aber auch über Privates und ihr Verhältnis zum Glauben gesprochen.
Du kommst aus einem kleinen Dorf in Niedersachsen und musstest von Kind an in der Landwirtschaft Deiner Eltern mitarbeiten. Schule und Ausbildung waren Deinen Eltern nicht so wichtig. Wie hast Du es geschafft, Dich davon freizumachen und Deinen Weg zu gehen?
Ich war die Älteste von drei Geschwistern und bin dazu erzogen worden, auf dem Hof mitzuarbeiten, zu heiraten und Kinder zu bekommen.
Mit vierzehn Jahren habe ich für mich entschieden, dass ich nicht so leben will wie meine Mutter. Ich hatte Glück im Unglück: Eine Krankheit hat mich fast ein halbes Jahr ans Bett gefesselt. Krankheitsbedingt durfte ich weiter zur Schule gehen und meinen Realschulabschluss machen und habe dann eine Ausbildung in der Gemeindeverwaltung gemacht. Ich fand das gar nicht so uninteressant, weil der öffentliche Dienst einen sicheren Job bot und das war mir zu der Zeit wichtig.
Aber auf Dauer hat Dir der öffentliche Dienst nicht gefallen?
Nach acht Jahren in der Gemeindeverwaltung habe ich gemerkt, dass ich das nicht für den Rest meines Lebens machen wollte.
Es ergab sich die Möglichkeit, zum gerade neu eröffneten Technologiepark, im 200 km entfernten Syke, zu wechseln. Dort suchte man jemanden mit Verwaltungsausbildung, der die Betreuung der outgesourcten IT übernimmt. Das war meine Chance, obwohl ich keine Ahnung von EDV hatte. So kam ich in die IT-Branche. Als der Technologiepark nach zwei Jahren wieder in die Stadtverwaltung integriert wurde, bin ich als Vertriebsmitarbeiterin zu einem Systemhaus in Bremen gewechselt. Da ich alle Programme kannte, wurde ich mehr oder weniger „Mädchen“ für alles: So kam ich auch auf die CeBIT, der weltweit größten Messe für Informationstechnologie. Die Firma Bull, seinerzeit der staatseigene französische IT-Konzern, hat mir dort einen Job im Marketing angeboten. Also bin ich von Bremen nach Köln gezogen und habe von 1989 bis 2001 als Marketingverantwortliche zuerst den Bereich öffentliche Verwaltung übernommen. Auch hier hatte ich wieder keine Ahnung, was mich erwartet. Einige weitere Stationen ergaben sich und ich machte Karriere, wurde ich später MarKom-Chefin Deutschland. Dazu kamen dann noch strategisches Marketing, Betreuung der Marketing-Trainees, große Events und Lobbyarbeit für Bull und mit dem Verband BITKOM bei der Bundesregierung und den Ländern.
Ja, aber ich hatte schon einige Jahre Berufserfahrung vorzuweisen, war lernbegierig und habe bei Bull auch eine firmeninterne nationale und internationale Management-Ausbildung u. a. in Paris und Mailand machen dürfen. Das war eine gute Grundlage für meine weitere Karriere.
Nach zwölf Jahren bei Bull bekam ich – wieder auf der CeBIT – ein Jobangebot von Fujitsu Siemens und habe dort als Marketingchefin Deutschland begonnen. Der neue Konzern war gerade ein Jahr zuvor gegründet worden. Es gab noch keine richtige Marketingabteilung, so hatte ich die Chance, das Marketing für Deutschland aufzubauen. Die Zeit bei Fujitsu war in den nächsten zwölf Jahren sehr prägend für mich.
Hört sich herausfordernd an.
War es auch, aber ich war alleinstehend, hatte meine Ehe hinter mir und Lust, wieder etwas Neues aufzubauen. Ich habe mich komplett reingeworfen und auch sehr im Verband BITKOM engagiert. Zu der Zeit habe ich meinen neuen Lebenspartner kennengelernt – und zwar wieder auf der CeBIT – sowie mein berufliches Netzwerk ausgebaut.
Man könnte sagen, die CeBIT war Dein Schicksal …
Ja, könnte man sagen, in vieler Hinsicht.
Hattest Du nie Angst, zu scheitern?
Immer. Das machst du nicht einfach so. Ich bin nicht so tough, wie es vielleicht scheint. Aber ich empfinde das nicht unbedingt als Nachteil. Mir war es immer sehr wichtig, mein Team mitzunehmen, eine gute Chefin zu sein. Ein Team ist nur so gut wie die Menschen, die im Team sind, auch der Chef: Inn ist ein Teil davon. Ich glaube, das hat auch meinen Ruf in der Branche gefestigt und mir die Möglichkeit gegeben, immer neue, interessante Aufgaben zu übernehmen. Ich habe mir immer gesagt, „ich schaffe das“. Wenn ich hinfalle, kann ich auch wieder aufstehen. Bislang hat es funktioniert.
Du hast als Frau in einer bis heute sehr männerdominierten Branche Karriere gemacht. Wie hast Du Dich behaupten können? Hattest Du weibliche Verbündete oder Vorbilder, die Dich unterstützt haben?
Nein, beides nicht. Mir haben immer nur Männer geholfen. Es gab in meinen 47 Jahren Berufsleben keine einzige Frau, von der ich sagen kann, die hat mich unterstützt. Es waren immer Männer, die Vertrauen in mich hatten und mein Potenzial gesehen haben. Auch meine Aufsichtsratstätigkeit beim Bildungswerk der niedersächsischen Wirtschaft habe ich über die Fürsprache eines Mannes bekommen. Das hat mir gezeigt, dass man in den Männernetzwerken akzeptiert sein muss, um weiterzukommen. Es reicht nicht aus, nur die Frauenkarte zu spielen. In Großkonzernen wird mit harten Bandagen gekämpft.
Später warst Du Genderbeauftragte bei Fujitsu Technologie Systems und hast Dich für die Förderung von Frauen eingesetzt. Wie kam es dazu?
2008 machte sich die Telekom für mehr Frauen im Management stark. Das war hoch aufgehängt und machte der Industrie Druck. So wurde ich zur Genderbeauftragten ernannt und musste eine verblüffende Erfahrung machen: Alle westdeutschen Frauen haben geklagt, dass es so schwer ist, als Frau Karriere zu machen, Beruf und Familie zu vereinbaren. Die ostdeutschen Frauen konnten das gar nicht verstehen, weil sie das schon ihr ganzes Berufsleben über gewohnt waren. Es wurden Förderprogramme aufgelegt, aber die meisten Frauen wollten das überhaupt nicht. Sie wollten nur ihren Job machen, Geld verdienen und waren an Karriere nicht interessiert. Es waren nur sehr wenige, die sich für das Mentoringprogramm gemeldet haben.
Du hast Dich schon ab Mitte der 1980er Jahre in Sachen Gleichberechtigung engagiert.
Als junge Frau habe ich mich in der evangelischen Kirche engagiert und u. a. die Synode zur Gleichstellung begleitet, weil ich zu dieser Zeit – Mitte der 80er Jahre – Vorsitzende der Jugendkammer der hannoverischen Landeskirche war. Das war spannend, weil daran Frauen aus allen Bereichen der evangelischen Kirche teilnahmen. Als junge Frau hatte ich Forderungen nach Gleichberechtigung. Aber es gab auch viele Frauen, die froh waren, als Kind den Krieg überlebt zu haben, froh in den 80er Jahren wieder einen gewissen Wohlstand zu haben. Einige haben gar nicht verstanden, was ich da fordere.
Da habe ich gelernt, dass man nicht nur seine Meinung durchsetzen muss, sondern dass Meinungen auch immer mit den Augen des anderen betrachtet werden müssen. Wie die Publizistin Hannah Arndt sagt: Wahrheit gibt es nur zu zweien. Das hat mir später in meinen Marketingjobs unglaublich geholfen; da musste ich mich auch immer erst „auf den Stuhl des Kunden“ setzen, bevor ich ein gutes Marketingprogramm entwickeln konnte. Die Perspektive zu wechseln, ist wichtig. Nicht allein meine Meinung zählt.
Noch einmal zurück zu Deiner Berufskarriere. Vor Deiner letzten Station bei Heise Medien hast Du ein Sabbatical eingelegt. Wie kam es dazu?
Bei Fujitsu hatte ich zu viele verschiedene Verantwortungen und einen Chef, mit dem ich nicht klarkam, das führte zu einem Burnout. Ich habe das Unternehmen nach zwölf Jahren verlassen und mir ein Sabbatical Jahr gegönnt, um wieder zu mir selbst zu kommen. Damit kam ich überhaupt nicht zurecht; ich hatte in meinem Leben nur selten Ruhezeiten. Und so habe ich mich gleich in die nächste Aufgabe gestürzt.
Ich habe einige Monate im Wahlkampfteam des niedersächsischen Ministerpräsidenten Stefan Weil gearbeitet. Ich wollte das immer mal erleben und habe auch hier wieder die Chance ergriffen.
Ein paar Dinge habe ich auch für mich gemacht, u.a. eine Weltreise. Nach einem Jahr wusste ich allerdings immer noch nicht, wie es beruflich weitergehen sollte. Zunächst habe ich mich selbständig gemacht, aber das Dasein als Einzelkämpferin war nichts für mich. Ich bin eine Teamplayerin. Dann bekam ich das Angebot – wieder auf der CeBIT – von Heise Medien, den Geschäftsbereich Heise Events aus- und aufzubauen. Nach sechs Jahren habe ich es an einen Kollegen abgegeben und das Podcast-Format „Heise meets … Der Entscheider Talk“ konzipiert, aufgebaut und die Interviews geführt.
Der Podcast lag mir sehr am Herzen, weil das Thema Digitalisierung in Deutschland überhaupt nicht richtig in die Gänge kam. Das hat mir wahnsinnig viel Spaß gemacht. Auch hier waren Perspektivwechsel wieder sehr wichtig.
Mit 63 habe ich meine Festanstellung gekündigt und wollte mit meinem Lebenspartner im VW-Bus durch Europa reisen. Aber dann kam das Leben dazwischen. So habe ich im Sommer 2023 meine Sachen gepackt und bin mit Toni, meinem Hund, nach Mallorca gekommen. Jetzt arbeite ich noch freiberuflich und ehrenamtlich. Das ist alles sehr interessant und fordert meinen Kopf.
Dein Haus auf Mallorca hast Du schon seit fast 30 Jahren. Hattest Du seit Deinem ersten Urlaub hier eine Affinität zur Insel?
Ich fand Mallorca nett, aber es war jetzt nicht unbedingt mein Lieblingsurlaubsziel. Zunächst habe ich mich gegen ein Ferienhaus auf Mallorca gewehrt. Ich war 36 Jahre alt, hatte ein Haus in Deutschland und wollte auch noch was von der Welt sehen. Aber mein damaliger Mann war wild entschlossen. Durch Freunde wurden wir auf das Haus in Artà aufmerksam. Das Haus war grauslich, aber trotzdem hat das Haus mich irgendwie angesprochen und wir haben es gekauft. Ich kannte Artà überhaupt nicht. Artà war damals nicht das Artà, das es heute ist. Es war grau und viele Häuser verfallen.
Während der Scheidung habe ich für das Haus gekämpft. Es wurde mir zugesprochen und ich konnte es dann endlich über viele Jahre so ausbauen, wie es heute ist, und fühle mich wohl.
Um nochmal auf das Thema Glaube und Spiritualität zu kommen, über Dein kirchliches Engagement haben wir ja schon gesprochen: Du bist gläubig und würdest Dich als aktive Christin bezeichnen?
Was heißt aktive Christin? Ich glaube an Gott, ich glaube, dass nichts einfach so passiert, dass es etwas gibt, das uns lenkt. Es gibt Menschen, die glauben orthodox und beten jeden Tag, aber es gibt auch gläubige Menschen, die daran glauben, dass eine höhere Gewalt alles steuert. Daran glaube ich. Für mich fällt nichts einfach so vom Himmel. Wobei ich auch bete und Zuversicht und Halt im Glauben finde.
Ich glaube, dass Menschen sich im Laufe der Jahrtausende nicht verändert haben. Damit hat das, was in der Bibel steht, immer noch Gültigkeit. Nicht umsonst sind die Geschichten und Gleichnisse der Bibel so stark in unserer Kultur verankert, in der Kunst, in der Literatur, in unseren Entscheidungen usw. Wir sind heute nicht besser, machen oft die gleichen Fehler und haben dieselbe Form von Liebe in uns. Das wird sich auch nicht verändern. Jeder/Jede einzelne ist im Gesamtgefüge wichtig, es sind oft die kleinen Dinge, die etwas verändern. Jeder Mensch kann etwas tun und kann Dinge verändern; man muss es sich nur zutrauen.
Jetzt engagierst Du Dich im WNM. Wie kam es dazu?
Ich habe Michaela Mayr kennengelernt und sie hat mir vom WNM erzählt. Was mir besonders gut am WNM gefällt, ist, dass es nicht branchenspezifisch ist und ganz unterschiedliche Frauen zusammenbringt. Man lernt immer wieder beeindruckende Frauen kennen.
Ich habe mich an der ein oder anderen Stelle engagiert, war in der damaligen „Leitungsrunde“ und schließlich hat Carmen mich gefragt, ob ich nicht zusammen mit Michaela Co-Präsidentin werden möchte.
Ich denke, Carmen, Michaela und ich sind ein gutes Team, weil wir uns ergänzen.
Was sind Deine Ideen zur Weiterentwicklung des Netzwerks?
Wenn wir ein Business-Netzwerk sein möchten, müssen wir neben allen anderen Aktivitäten auch noch Business-Content anbieten. An dieser Idee arbeiten wir noch.
Würdest Du sagen, Du bist in Artà und in Deinem neuen Leben angekommen?
Ich fühle mich wohl, obwohl es nie so geplant war. Ich bin bodenständig und brauche mein „kleines Dorf“ und die vielen großartigen Menschen, die in den letzten Monaten neu in mein Leben gekommen sind – kaum hier und fühle ich mich schon mittendrin. Aber ich versuche auch, mich mehr um mich zu kümmern; das ist in der Vergangenheit immer zu kurz gekommen.
Es gab immer Zeiträume in meinem Leben, in denen mein Leben sich verändert hat. Ich bin gespannt, was noch kommt. Ich warte ab, was im letzten Lebensdrittel noch auf mich zukommt.